Ort, Kanton | Giessbach, BE | Koord. Talstation | 644.350/176.085 ; 570 m.ü.M | Koord. Bergstation | 644.680/176.140 ; 668 m.ü.M |
| Einstufung | National | Besuch | 11.09.2009 tb | Inventar | 20.11.2010 pb |
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| Baujahr | 1879 | Erstinbetriebsetzung | 1879 | Umbauten | 1891; 1892; 1903; 1912; 1948; 1989; 1998; 2009 |
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Situation
Beschreibung der Anlage
Die älteste Standseilbahn Europas verbindet das Ufer des Brienzersees mit dem Hotel Giessbach und gilt heute noch als begehrte touristische Attraktion. Die 1878/79 im Auftrag von Karl Hauser-Blattmann, dem damaligen Besitzer des Grandhotels Giessbach, durch die von Niklaus Riggenbach (1817-1899) geleitete Internationale Gesellschaft für Bergbahnen in Aarau erstellte Bahn war von Ingenieur Roman Abt (1850-1933) entworfen worden. In einer geraden direkten Linie sollte die Bahn vom Schiffsanlegeplatz über den tosenden Giessbach zum 1875 eröffneten Grandhotel führen. Dieses Hotel wurde 1883 durch einen Grossbrand zerstört. Das unverzüglich wieder aufgebaute und 1884 neu eröffnete Hotel entstand wohl wiederum unter der Leitung des Architekten Horace Edouard Davinet (1839-1922).
Bei der Giessbachbahn handelt es sich um eine eingleisige Anlage mit Bremszahnstange und in der Streckenmitte angeordneter mandelförmiger automatischer Ausweiche, die 1891 ersetzt wurde. Der obere Teil des Trassees führt über eine nahezu 190 m lange vernietete Stahlbrücke mit fünf, auf gemauerten Pfeilern ruhenden Bogen. Die mit der Wartehalle der Schiffländte durch einen gedeckten Gang verbundene Bahntalstation ist 1948 durch einen zeitgemässen Neubau im lokal inspirierten Heimatstil ersetzt worden. Gleichzeitig erhielt die bis dahin offene Bergstation ein mit Ziegeln bedecktes Holzgebäude.
Die 1912 durch die Firma Bell angepassten Fahrgestelle der beiden Wagen besitzen je drei Achsen und Zahnräder als Sicherheitsbremse. Die hölzernen, je 40 Fahrgäste fassenden Aufbauten wurden 2007 bzw. 2009 originalgetreu restauriert.
Als Betriebsenergie diente ursprünglich Wasser, das bei Bedarf in den oberen Wagen gepumpt wurde und infolge des dadurch erzielten Mehrgewichts den unteren Wagen in die Höhe zog. 1912 ersetzte die Firma Bell den Betrieb mit Wasserübergewicht in der Bergstation durch einen hydromechanischen Antrieb, bestehend aus einer Zwillingsturbine mit Peltonrädern. Die Kraftübertragung erfolgte mit Hilfe eines Schneckenradgetriebes auf das grosse, heute noch bestehende Antriebsrad. Für diesen Antrieb wurde eigens ein Maschinenhaus mit Flachdach errichtet. Diese Wasserturbine wurde im Jahre 1948 durch Elektromotoren ersetzt. 1988/89 musste mit Ausnahme der Bremszahnstange (System Riggenbach) der gesamte Oberbau erneuert werden. Seit dem Umbau 1998/99 verrichtet eine moderne Antriebsgruppe (Motor, Getriebe und Bremsen) ihren Dienst.
Die eindrückliche Standseilbahn befindet sich heute im Besitz des Grandhotels Giessbach, d.h. in der von Franz Weber gegründeten Stiftung „Giessbach dem Schweizervolk“. Die von der EWR Energie AG unterhaltene Bahn wird im Sommer zur Verbindung zwischen der Schiffstation und dem gut 100 m höher gelegenen Hotel genutzt.
Gesamtwürdigung
Die vorzüglich in eine beeindruckende Naturszenerie eingebettete, sorgfältig unterhaltene und nachgerüstete Bahn hat einen hohen technik- und kulturgeschichtlichen Wert. Wie das Grandhotel Giessbach, zu dessen Erschliessung sie auf Initiative der Hotelierfamilie Hauser entstand, ist die Giessbachbahn ein wichtiger Zeuge der touristischen Entwicklung im Berner Oberland im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Die Anlage, heute die älteste erhaltene Standsteilbahn der Schweiz, war nicht nur die erste ausschliesslich für touristische Zwecke errichtete Seilbahn Europas, sondern auch die erste Bahn, bei der die Ausweiche des Schweizers Roman Abt (Abt'sche Ausweiche) und das auf dem Prinzip des Wasserübergewichts basierende Antriebssystem (Wasserbalastbahn) zur Anwendung kam. Trotz des 1912 erfolgten Wechsels des Antriebssystems besitzt sie, auch mit den beiden original restaurierten und mit Zahnradbremsen versehenen Wagen, noch einen hohen Anteil an überlieferten Komponenten und zeichnet sich durch bemerkenswerte Streckenbauwerke wie die filigranen und eleganten Stahlfachwerk-Brückenbögen auf Natursteinpfeilern aus.
Bewertung
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Konzeption | | |
Erschliessungsidee (Vision) | | Verbindung vom Schiffsanlegeplatz zum Grandhotel |
Linienführung: Planung, Umsetzung | | gerade, direkte Linie im vom Giessbach zerklüfteten Gelände; rund die Hälfte der Strecke ist überbrückt |
Seilbahntechnik | | |
besondere oder typische tech. Konstruktion, Ausführung, Lösung, Materialien | | klassische einspurige Standseilbahn der ersten Generation mit zwei Wagen im Pendelbetrieb, Zahnstange (Bremsen) u. erstmaliger Anwendung der Abt'schen Weiche; ursprünglich Wasserballastantrieb; Fahrgestell mit drei Achsen!; Ausweiche auf Brücke |
seilbahntechnische Bedeutung: Prinzip, Hersteller | | älteste erhaltene Standseilbahn der Schweiz; Werk der Internationalen Gesellschaft für Bergbahnen IGB in Aarau, die von Niklaus Riggenbach u. Oliver Zschokke geleitet wurde; Betreuung nach Konkurs durch Bell in Kriens |
Baukunst: Streckenbauwerke, Hochbauten | | |
Ingenieurbau | | filigrane u. elegante Stahlfachwerk-Brückenbögen auf Wider- bzw. Auflagern aus Natursteinquadermauerwerk |
Architektur | | Hochbauten sind formal dem späten Heimatstil der 1950er Jahre verpflichtet u. orientieren sich an der lokalen Architektursprache; Hochbautenanordnung folgt dem Anlageschema der Ursprungszeit |
besondere oder typische arch. Konstruktion, Ausführung, Lösung, Materialien | | im Sockelbereich Rustika-Natursteinmauerwerk; Holzkonstruktion; Talstation mit überdeckter Rampe formal u. funktional an die Schiffsanlegestelle gebunden |
bautypologische Bedeutung | | formal u. bauzeitlich einheitliche Schiffsanlegestelle, Tal- u. Bergstation umfassende Hochbautenanlage; schlichte u. gut ablesbare Inszenierung der Ankunft |
Authentizität: materielle, ideelle Überlieferung | | |
Umfang und Qualität der ursprünglichen Komponenten | | Linienführung, Unterbau, Zahnstangen, Brücken |
Qualität der Nachrüstungen | | kontinuierliche Verbesserungen u. Anpassungen, um mit der fortschreitenden Technik Schritt zu halten; entscheidend ist 1912 der Wechsel des Antriebssystems von Wasserballast zu hydromechanischem Antrieb (Zeitzeuge Antriebsrad); auf bedeutender Grundanlage aufsetzende repräsentative Folge von Entwicklungsschritten der Seilbahntechnik; charakteristisch für die Dynamik von mobilen technischen Denkmälern |
funktionale Unversehrtheit | | intakter u. sehr gepflegter Hotel- und Landschaftskontext |
Kulturgeschichte | | |
Personen, Firmen, Institutionen | | IGB Aarau, N. Riggenbach, R. Abt (Mitarbeiter); Initiant Hotelier Karl Hauser-Blattmann |
Wirtschaft, Tourismus, Verkehr, Militär | | Hotelbahn; wesentlicher Teil der interessanten u. bewegten Geschichte des Tourismusortes u. Hotels Giessbach sowie Ausdruck des Konkurrenzkampfes um die Attraktivität und Modernität der einzelnen Tourismusstandorte |
Räumliche Situation | | |
Berücksichtigung der Landschaft, der natürlichen Umgebung, des urban. Kontexts | | knappe Platzverhältnisse beim Landungssteg; Verbreiterung des Terrains bereits zu früherer Zeit für die Erstellung eines Hotels unmittelbar am Seeufer; Bahninstallation integriert sich aufgrund ihrer Kürze bzw. ihrer Grössenabmessung u. ihrer Materialsierung in die Umgebung |
Infrastruktur | | |
touristische/betriebliche Infrastruktur | | Schiffsanlegestelle; Hotel; Giessbachfälle |
Verkehrsnetze | | Anbindung an die Brienzerseeschifffahrt |
Anhang 1: Technische Daten
Anhang 2: Apparat
Bundesinventare |
- | BLN | Objekt-Nr.: 1511 Giessbach |
- | ISOS (national) | Hotel Giessbach, Spezialfall |
- | KGS 2009 | Objekt-Nr.: 810 Hotelkomplex Giessbach, Kat. A |
Kantonale Inventare |
- | BE: Kantonales Bauinventar, Gemeinde Brienz | A |
andere Inventare |
- | ISIS | Objekt-Nr.: 3855-02-0 |
Literatur |
- | Abt, Roman: Die Seilbahn am Giessbach, in: Die Eisenbahn=Le chemin de fer, vol. 10/11 (1879), p. 97-99, 103-105, 109-112, 118, 121-123, 127-129 |
- | Abt, Roman: Die Seilbahn am Giessbach, Zürich: Orell Füssli & Co, 1880 |
- | Rieker, R.: 125 Jahre Giessbachbahn, in: Eisenbahn-Amateur, 2004/8, p. 472 |
- | Schweizer, J.; Rieker, R.: Grandhotel Giessbach, Schweizerische Kunstführer GSK, Bern 2004 |
- | Schweizer Heimatschutz (Hg.): Die schönsten Verkehrsmittel der Schweiz, Zürich, 2007, p. 38 |
e-docs |
- | http://www.seilbahn-nostalgie.ch/giessbach.html |
Anhang 3: Jahrzahlen der Komponenten
Anhang 4: Relationen
Hersteller | Bell | | Bell | | |
Hersteller | Abt | | Carl Roman Abt | | |
Hersteller | Maschinenfabrik IGB | | Maschinenfabrik der Internationalen Gesellschaft für Bergbahnen | | |
Anhang 5: Bildauswahl